Seit mehreren Monaten tobt im Ilmkreis ein Streit um die Zukunft des Busverkehrs in der Region, Es werden Gerichte angerufen, Gerüchte verbreitet und nahezu täglich melden sich die Kontrahenten öffentlich zu Wort. Aber worum geht es eigentlich?
Die Ausgangslage
Öffentlicher (Bus-)Nahverkehr (einschließlich Schülertransport) ist auch in Thüringen ein Zuschussgeschäft. Nur etwa die Hälfte der Kosten werden über Fahrscheinerlöse gedeckt, der Rest sind Zuschüsse von Kreis und Land. Die Landkreise sind laut Gesetz „Aufgabenträger“ des Nahverkehrs. Sie verteilen die Zuschüsse, legen die Linien fest und bestimmen, wer die Leistungen erbringen darf. Für Busunternehmen ist das ein gutes Geschäft, wer „Linie“ fährt, hat für längere Zeit eine sichere Einkommensquelle.
Im Ilmkreis durften bisher zwei Betriebe „Linie“ fahren: Im Süden der Ilmenauer Omnibusverkehr (IOV) und im Norden Regionalbus Arnstadt (RBA, zum Teil mit der Fa. Zentgraf als Subunternehmen). Das ist ein Erbe aus der Zeit, als es noch die Kreise Arnstadt und Ilmenau gab. Beide Unternehmen werden privat geführt, der Kreis hält jeweils einen Anteil von 34 Prozent. Die Koordination des Nahverkehrs übernimmt die kreiseigene Ilmkreis-Personenverkehrsgesellschaft (IKPV).
Das juristische Problem
Nach einer EU-Richtlinie zur Sicherung des Wettbewerbs im Nahverkehr muss sich künftig die Vergabepraxis ändern. Unternehmen wie RBA und IOV dürfen nicht mehr automatisch vom Kreis mit Aufträgen bedacht werden, es muss in dieser Größenordnung eine europaweite Ausschreibung geben. Ausnahme: Der Kreis macht es selbst, das heißt, er betreibt selbst eine Transportfirma.
Das ideologische Problem
Sollte der Staat / die Kommune lieber alles selbst machen – oder ist es besser, möglichst viele Leistungen an Private zu vergeben? Darüber wird schon immer gestritten. Für beide Varianten gibt es Argumente. Wenn ein Gemeinwesen alles selbst macht, bleibt es unabhängig von Firmeninteressen und kann möglichst viel steuern (auch kurzfristig). Allerdings besteht die Gefahr, dass öffentliche Einrichtungen behäbiger und teurer agieren. Und es verleitet dazu, zusätzlich teure Versorgungsposten für abgewählte Politiker zu schaffen.
Nachdem lange Zeit die Privatisierung als Allheilmittel gepriesen wurde, ist nun ein gegenläufiger Trend zu beobachten. Viele Kommunen holen sich Aufgaben zurück, besonders auf dem Gebiet der „Daseinsfürsorge„, zu dem auch der Nahverkehr zählt.
Wie machen es die anderen?
Unterschiedlich. Im Nachbarkreis Gotha zum Bespiel wird europaweit ausgeschrieben. Andere Thüringer Kreise haben bereits eigene Gesellschaften gegründet, zum Teil sogar über die Grenzen hinaus. So arbeiten Saalfeld-Rudolstadt und der Saale-Orla-Kreis in der KomBus GmbH zusammen. Interessant ist auch das Eichsfeld: Dort gibt es die „Eichsfeld-Werke“, die nicht nur den Nahverkehr, sondern auch Wasser/Abwasser, Abfallentsorgung und Stromversorgung als kreiseigenes Unternehmen anbieten.
Die Lösung im Ilmkreis
Der Ilmkreis will den Nahverkehr allein kommunalisieren. Dazu gab es schon länger Gespräche mit den Geschäftsführungen von RBA und IOV, die darauf abzielten, diese Unternehmen ganz oder mehrheitlich durch den Kreis zu übernehmen. Beim IOV wurde das immer positiv beurteilt, beim RBA zunächst auch, wie dessen Geschäftsführer Knut Gräbedünkel in einem Interview bestätigt. Allerdings wollte die Geschäftsführung des RBA nicht komplett verkaufen, sondern 49 Prozent der Anteile behalten. Das wurde offenbar vom Kreis auch akzeptiert. Nach Darstellung von Gräbedünkel war im daraufhin aufgesetzten Vertrag aber eine Klausel enthalten, der dem Kreis jederzeit erlaubt hätte, seinen Anteil zu erhöhen. Weil die RBA-Führung das nicht gewollt habe, sei der Vertrag nicht unterschrieben worden, sagt Gräbedünkel. Ich kann diesen Sachverhalt nicht beurteilen, weil ich die Absprachen und den Vertragsentwurf nicht kenne. Jedenfalls wurde in der Folge im Sommer 2017 ein Kreistagsbeschluss gefasst, der eine 100-prozentige Übernahme nur des IOV vorsieht, der dann ab Sommer 2019 allein den Linien-Busverkehr im gesamten Kreis bewältigen soll. Gleichzeitig stieg der Kreis zum 31. 12. 2017 als Minderheitsgesellschafter aus der RBA aus.
Hätte man es anders machen können?
Natürlich hätte man die Leistungen europaweit ausschreiben können. in den meisten Fällen kommen dabei auch regionale Unternehmen zum Zug, es muss aber nicht unbedingt eins aus dem Kreis sein. Im Kreis Gotha hat zum Beispiel gerade ein Unternehmen aus der Nachbarschaft eine Ausschreibung für Buslinien gewonnen: die RBA Arnstadt (!!). Es gibt angeblich auch Werkzeuge, die selbst unter den neuen EU-Bedingungen die Vergabe an bestimmte Unternehmen ermöglichen, zum Beispiel ein „eigenwirtschaftlicher Antrag“, den die IHK Südthüringen ins Spiel gebracht hat. Ich habe von diesen Sachen keine Ahnung, aber der Deutsche Städte- und Gemeindebund scheint nicht viel von dieser Lösung zu halten.
Warum platzte die Einigung zwischen Kreis und RBA?
Im Interview nennen der RBA-Geschäftsführer und sein Anwalt die Gründe: Der Vertragsentwurf des Kreises habe „eine versteckte Klausel“ enthalten, nach der sich die kreiseigene IKPV weitere Anteile der hätte aneignen können. „Auch sollte die Besetzung der Geschäftsführung nur der IKPV obliegen“. Und: Die von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft des Landkreises vorgenommene Bewertung der Geschäftsanteile sei „unangemessen niedrig“ gewesen. Es ging also um mehr Geld für die RBA-Besitzer und die Zukunft des jetzigen Geschäftsführers. Deshalb hat die RBA-Führung den Vertragsentwurf nicht unterschrieben.
Sind die Messen damit gelesen?
Nein. Es laufen noch Klagen des RBA gegen die Kommunalisierung. Und es gibt unterschiedliche Interessengruppen, die daran interessiert sind, das Thema öffentlich am Kochen zu halten. Dazu zählen die Geschäftsführung des RBA, Vereine, die bisher von RBA-Sonderkonditionen profitiert haben und die Front der grundsätzlichen Kommunalisierungs-Gegner (siehe oben).
Könnte es noch eine Einigung zwischen Kreis und RBA geben?Wenn Gerichte die Modalitäten der Kommunalisierung kippen würden, müsste alles neu verhandelt werden. Theoretisch könnte der Kreis auf die Bedingungen der RBA-Geschäftsführung für die Übernahme eingehen oder die RBA davon abrücken, man könnte sich auch in der Mitte treffen. Aber ohne Urteil ist eine Einigung so gut wie ausgeschlossen, denn die Fronten zwischen Kreis und RBA sind verhärtet.
Warum wartet man nicht auf ein Urteil, sondern streitet gerade jetzt so heftig?
Weil im April Landratswahl ist. Amtsinhaberin Petra Enders steht für die Kommunalisierung, die nun von allen Seiten zum Hauptthema des Wahlkampfs gemacht wird.
Steht die RBA vor dem Aus?
Wohl kaum. Bis Juni 2019 bleibt im Ilmkreis alles beim Alten, durch den Zuschlag für insgesamt 11 Linien im Kreis Gotha hat der RBA jetzt sogar mehr zu tun als vorher – und verdient auch mehr Geld. Der Vertrag in Gotha gilt zwar nur für 17 Monate, aber wenn sich die RBA im Kreis Gotha etabliert, sind Anschlussaufträge möglich. Im Übrigen: Wenn der IOV künftig auch den Nordkreis betreut, werden dafür nicht nur neue Busse, sondern auch neue Fahrer gebraucht.
Was merken die Fahrgäste von dem Streit?
Zunächst nichts – außer den anhaltenden Wortmeldungen der streitenden Seiten. Die RBA fährt bis kommenden Sommer weiter wie bisher. Danach sehen höchstens die Busse anders aus. Die Kommunalisierungsgegner befürchten, dass die Übernahme des Nahverkehrs durch den Kreis durch hohe Investitionskosten teuer werden würde – und deshalb die Fahrpreise steigen könnten oder das Liniennetz ausgedünnt wird. Das ist nicht auszuschließen, aber auch nicht sicher. Neue Busse hätte man irgendwann auch kaufen müssen, wenn alles so geblieben wäre wie bisher. Und immerhin muss der Linien-Fahrgast künftig eine Geschäftsführung weniger bezahlen.
All das steht allerdings wegen der anhängigen Klagen der RBA unter Vorbehalt. Ob, wann und wie die Gerichte entscheiden, durch wie viele Instanzen sich das Verfahren zieht und ob es einstweilige Verfügungen geben wird – das weiß gegenwärtig kein Mensch. Es bleibt nur die Hoffnung, dass sich die Sache nicht so entwickelt wie der Busstreit im vergangenen Jahr in Gotha. Damals sind über längere Zeit Busse verschiedener Unternehmen hintereinander auf den gleichen Linien gefahren. Am Ende haben alle verloren.
Also egal was den Streitfall beim öffentlichen Nahverkehr angeht, sollten zumindest die Schülertransporte davon unbeeinflusst bleiben. Auch wenn ich nachvollziehen kann, dass dieses Problem mit den Zuschüssen gelöst werden muss, sollte die Bildung der Kinder eine erhöhte Priorität genießen. Ansonsten sollte von der Stadt eine Alternative zum Schülertransport geboten werden. Vielen Dank für Ihren Beitrag.