Am Ostersonntag konnte man sich wieder von der Schriftstellerin Marlitt durch Arnstadt führen lassen. Die heißt eigentlich Uta Kessel und ist schon seit 1988 Stadtführerin. Sie liebt diese Stadt und möchte, dass diese Liebe bei den Gästen ansteckend wirkt. Wie ein Virus, meint die gelernte Krankenschwester.
Leitende Schwester in der Intensivstation, das ist ein Job, der kaum Freiräume lässt. Uta Kessel hat das selbst erfahren. „Ich habe irgendwann gedacht, dass das nicht alles sein kann, dass ich noch etwas brauche neben meinem Beruf.“ Das war 1987. Und da las sie in der Zeitung, dass es einen Stadtführer-Lehrgang geben sollte. Sie hat die 18 Ostmark bezahlt und auch die 16 Stunden Marxismus-Leninismus überstanden. „Aber sonst haben wir viel gelernt“, sagt sie heute, „wir hatten gute Dozenten“.
Vor ihrer ersten Stadtführung hatte sie mächtig Herzklopfen. Aber dann stand sie vor einer neugierigen Gruppe von Viertklässlern. Und sie hat alle Zahlen weggelassen, die sie gelernt hatte. „Man muss sich auf die Menschen einstellen“, das ist heute noch ihr Motto.
Bis zur Wende hatte sie schon 100 Stadtführungen hinter sich. Und dann kam die Wende-Silvesternacht 1989, mit vielen Gästen aus der Partnerstadt Kassel wurde die auf dem Markt gefeiert. „Wir haben die Leute bis Mitternacht durch die Stadt geführt. Es war eine unvergleichliche Stimmung.“
In dieser Zeit ist ihre Begeisterung, Stadtführerin zu sein, so richtig gewachsen. „Es ist wie so ein kleiner Virus, mit dem ich versuche, die Leute anzustecken: Seht, was für eine schöne Stadt wir hier haben. Und wenn das klappt, dann bin ich zufrieden“. Dann, wenn die Leute gehen und ein Aha-Erlebnis hatten: Es gibt eben in Thüringen nicht nur Eisenach, Weimar oder Erfurt, auch Arnstadt kann sich sehen lassen. Und Uta Kessel öffnet den Gästen gern den Blick auf die Schönheiten der Stadt.
Aber mehr noch als für die Häuser interessiert sie sich für die Menschen. Zum Beispiel die Fürstin Auguste Dorothea, der die Stadt die Puppensammlung „Mon Plaisir“ verdankt. „Die hatte auch diesen Virus“, sagt Uta Kessel. Oder Katharina von Nassau, die Frau des Grafen Günther XLI. „Solche Menschen versuche ich, den Leuten näher zu bringen. Und darüber die Leute für die Stadt zu begeistern.“
Seit 1992 tritt sie auch als Marlitt auf. Eine Rolle, die wie geschaffen für Uta Kessel scheint. Die Verse, die sie dabei vorträgt, hat sie selbst geschrieben. Man kann sie in dieser Rolle wie morgen bei Stadtführungen erleben oder auch als Botschafterin der Stadt bei Veranstaltungen und manchmal auch im Fernsehen. Und so hat sie auch schon Leute wie Eberhard Hertel, die Wildecker Herzbuben, Täve Schur, Waldemar Cierpinski, den Schauspieler Horst-Michael Neutze und die Karikaturistin Barbara Henniger persönlich kennengelernt. Und zahllose Besucher der Stadt, wie viele, das weiß sie nicht genau. Auch die Stadtführungen hat sie nicht gezählt. Manchmal ist es eine pro Woche, manchmal sind es mehr.
Manche Besucher aus dem Westen waren etwas überheblich. Da kamen Bemerkungen wie: Ihr habt ja sogar Gardinen an den Fenstern, kennt ihr auch Wasserspülungstoiletten? Sie hat dann immer geantwortet: „Wir kennen sogar die Uhr.“ Aber solche Gäste waren die Ausnahme. Die Mehrzahl hat einfach gestaunt, was ihnen Uta Kessel alles zeigen und erzählen konnte.
In diesem Jahr wird sie 65, den Beruf der Krankenschwester übt sie nicht mehr aus. Aber Stadtführungen mit ihr wird es weiter geben. Schon ihres Lieblingsspruches wegen: „Das Steckenpferd ist das einzige Pferd, das dich über jeden Abgrund trägt“. Das hat sie nicht nur einmal erfahren. Aber wenn sie durch die Stadt führt, hat sie immer ein Lächeln parat.