Seit 172 Jahren steht das Haus an der Ecke Karolinenstraße / Vor dem Ried, nun soll es abgerissen werden und einem Wohnkomplex weichen. Seinen früheren äußeren Charme hat das Jugendklubhaus, das früher „Concordia“ hieß, schon lange eingebüßt. Aber es ist für viele Arnstädter ein Haus voller Erinnerungen. Und es hat eine bewegte Geschichte.
Treffpunkt der Elite
Seinen ersten Namen verdankt das Haus einer geschlossenen Gesellschaft namens „Concordia“ (Eintracht). Es gab einige solche Gesellschaften im 19. Jahrhundert in Arnstadt, sie hießen „Harmonie“, „Germania“, „Gesellschaft der Freunde der Geschwätzigkeit“ oder auch einfach „Ulk“.
Die „Concordia“ wurde schon 1815 gegründet und war nichts für einfache Leute. Laut Statut von 1882 sollte sie einem erlauchten (und gut betuchten) Kreis „Erholung und Erheiterung durch Gespräch, Lektüre und erlaubte Spiele, sowie durch Musik und Tanzvergnügen“ bieten.
Wer Mitglied werden wollte, musste ein „mindestens 18 Jahre alter Mann von Bildung und unbescholtenem Rufe“ sein, in Arnstadt oder der näheren Umgebung wohnen, selbständig von Amt, Geschäft oder Vermögen leben und sich einem komplizierten Aufnahmeritual unterziehen. Mitglieder, die gegen die allgemeinen Regeln der Sittlichkeit und des Anstandes verstießen oder ein anderes Mitglied gar tätlich beleidigten, wurden ausgeschlossen.
Eine reine Männer-Wirtschaft wie so mancher Verein dieser Zeit war die Concordia aber nicht. „Einzeln stehende Damen, welche von ihrem eigenen Einkommen leben“ konnten auf Antrag und nach Prüfung durch den Vorstand Mitglieder werden, außerdem durften die Mitglieder zu Bällen und Festen ihre Familien mitbringen. Nur Hunde waren nicht erlaubt.
Lange Zeit nutze die Gesellschaft nur ein nicht beheizbares „Sommerhaus“. Deshalb wurde an der Karolinenstraße um 1846 neu gebaut, mit einem Saal, Gesellschaftsräumen und einem großen Garten, im Stil des Klassizismus. Der Museologe Hansjürgen Müllerott bringt den Schinkel-Schüler Carl Scheppig, der unter anderem in Arnstadt die heutige Bach-Schule entworfen hat, auch mit dem neuen Concordia-Haus in Verbindung. Allerdings gibt es keine Belege für Scheppigs Urheberschaft.
Das Haus der Concordia mit seiner Gaststätte war im Wesentlichen den Mitgliedern der Gesellschaft vorbehalten, die sich hier regelmäßig trafen. Allerdings gab es auch Vermietungen für Kongresse und öffentliche Konzerte. Eine Tafel am Eingang weist darauf hin, dass 1928 der Thüringische Geologische Verein in der Gaststätte seine Hauptversammlung abhielt. Schon 1850 fand in der Concordia die Gründung der ersten „Wanderversammlung der deutschen Bienenwirthe“ mit 68 Imkern aus ganz Deutschland statt, 1861 wurde hier auf Anregung von Alfred John, einem Bruder der Schriftstellerin Marlitt, der „Wissenschaftlicher Verein Arnstadt“ wiedergegründet.
Auch in die Entwicklung von Arnstadt als Solbad war die Concordia einbezogen. Mehrfach traf sich der Solbadverein in den Räumen an der Karolinenstraße. Da es kein ordentliches Kurhaus in der Stadt gab, diente die „Concordia“ zeitweise als Ersatz. In einer Schrift von Heinrich Schwerdt aus dem Jahr 1856 ist zu lesen, dass am Haus eine „weithin leuchtende Aufschrift: Kursaal“ angebracht worden sei. Wer allerdings das Haus kennt, wird verstehen, dass dies kein richtiger Kursaal gewesen sein kann.
Später fanden in dem Haus auch große Schachveranstaltungen statt.
Ostern 1929 tagte der 37. Kongress des Thüringer Schachbundes in der Concordia, im Oktober 1933 gab es einen großen Simultankampf, bei dem zwei deutsche Schachmeister an 68 Brettern gegen die Arnstädter spielten. Auch im darauf folgenden Jahr wurden innerhalb eines weiteren Thüringer Schachkongresses mehrere Turniere ausgetragen.
1938 gab es einige Umbauten am Haus, die stark in die Architektur eingriffen. Einige der dekorativen Fassadenelemente verschwanden, es kam eine offene überbaute Terrasse hinzu. Nach Ansicht des Museologen Hansjürgen Müllerott war dies „der Anfang vom Ende, der 1. Todesstoß“ für das klassizistische Ensemble.
Doch trotz dieser baulichen Veränderungen sollte die „Concordia“ nach dem zweiten Weltkrieg einen neuen Aufschwung erleben. Wenn auch unter anderen Namen.
Von der Glaswerkstatt zum Beatschuppen
Nach 1945 kamen viele Vertriebene nach Arnstadt, darunter zahlreiche Glashandwerker aus dem Sudetenland. Sie begründeten einen neuen Wirtschaftszweig in der Stadt, eine der ersten Glaswerkstätten entstand 1946 – mangels anderer Räumlichkeiten – in der „Concordia“.
Im Dezember 1947 wurde in den oberen Räumen des Hauses eine Wärmehalle für Frauen eingerichtet. In einigen Zimmern konnten Kinder unter einer Aufsicht ihre Hausaufgaben erledigen, eine Art Schulhort also. Laut Arnstädter Chronik wurde die „Concordia“ 1949 in „Liselotte-Herrmann-Heim“ umbenannt, die Bezeichnung war aber nicht von langer Dauer, denn wenig später prangte der Schriftzug „Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft“ über dem Haupteingang.
Schon in den 50-er Jahren probten die „Teddys“ im Saal in der 1. Etage und tranken danach in der Gaststätte im Erdgeschoss ihr Feierabendbier. Zum echten „Beatschuppen“ aber entwickelte sich das Haus erst, nachdem es 1963 zum Jugendklubhaus in der Trägerschaft des Rates der Stadt wurde. Damit begann nicht nur eine rege Veranstaltungstätigkeit, sondern am Haus wurden zahlreiche Arbeitsgemeinschaften und Ensembles angesiedelt, die das Jugendleben in Arnstadt entscheidend mitprägen konnten.
Die „Birds“ probten und spielten hier, die „Tropics“ und „Eins plus fünf“. Die „Club-Band“ hatte sich sogar nach dem Jugendklubhaus benannt. Es gab damals nicht nur Tanzabende, sondern auch den „Tanztee“ am Sonntagnachmittag für das jüngere Publikum, manchmal mit bekannten Bands von außerhalb. Eigentlich war in dieser Zeit die Beatmusik in der DDR offiziell verpönt, Walter Ulbricht hatte 1965 den Beat zur Unkultur erklärt. Außerdem waren lange Haare und Jeans unerwünscht, die im DDR-Sprech „Niethosen“ genannt wurden. Doch in Arnstadt – und besonders im Jugendklubhaus – wurde das weitgehend ignoriert. Alle wussten, dass dort die heißesten Titel gespielt wurden, aber die Berichte an den Rat der Stadt wurden so abgefasst, dass alle zufrieden waren.
So hieß es in einem Bericht der Klubhausleitung über den Auftritt der „Unisonos“ und der „Nautiks“ im März 1970: „Das Auftreten der Kapellen war einwandfrei. (…) Das Benehmen der Jugendlichen (Besucher) war ohne Tadel – lustig, aufgelockert -, einem Jugendtanztee gemäß. Trägern von Niethosen wurde kein Einlass gewährt. Die Einlasskontrolle konnte, wie bei jeder derartigen Veranstaltung, in Anbetracht der großen Nachfrage und der zu kleinen Kapazität‚ ‚Schwarzbesuche‘ nicht unterbinden….“
Der große Andrang und die geringe Platzkapazität waren die beiden Hauptprobleme des Hauses. Der Saal mit Bühne, der sich im ersten Obergeschoss (ohne Aufzug!) befand, fasste offiziell maximal 150 Besucher. Es gab kaum eine Tanzveranstaltung, die nicht ausverkauft war. „Im Durchschnitt finden jedes Mal 100 bis 150 Jugendliche keinen Einlass“, heißt es in einem Schriftwechsel von 1974.
Zu diesem Zeitpunkt waren schon mehrere Räume des Hauses gesperrt – wegen Schwammbefall. Die Toilettenanlagen befanden sich laut Bericht in einem „unmöglichen Zustand“, die Heizungsanlage war marode. Für eine grundhafte Sanierung aber war kein Geld da – und vor allem keine Baukapazität. In der DDR sollte eigentlich immer alles nach Plan gehen. Aber für das Jugendklubhaus hatte man keinen Plan.
Zwischen Schwamm und Wende
Im April 1976 ging nichts mehr: Wegen Schwammbefalls und des schlechten Allgemeinzustandes wurde das Jugendklubhaus geschlossen. Baukapazitäten zur Sanierung und dem geplanten Neubau eines Seitenflügels gab es allerdings nur wenige, vieles sollte in Eigenleistung und mit „Feierabend-Brigaden“ erledigt werden. In einer Bauberatung zum Jugendklubhaus, deren Protokoll erhalten ist, fragte Bürgermeister Hermann Gibson demonstrativ einen Verantwortlichen: „Franz, wieviel Steine hast Du schon?“ Die Antwort war ausweichend. Man könne vielleicht Hohlblocksteine vom Wohnungsbaukombinat bekommen, ansonsten solle doch jeder bitte Initiative entwickeln.
Entsprechend lief die Sanierung ab, die sich fast fünf Jahre hinzog. Wahrscheinlich wurde von der ursprünglichen Bausubstanz von 1846 dabei noch mehr beschädigt und vernichtet als bei der ersten Sanierung 1934. Das einzige Ziel war, das Jugendklubhaus so bald als möglich wieder zu eröffnen. Begriffe wie „Denkmalschutz“ tauchen in den Berichten und Protokollen gar nicht auf.
Im Jahr 1980, zum „Republikgeburtstag“ im Oktober, wurde das Haus endlich wieder eröffnet, auch wenn vieles noch gar nicht fertig war. Eine geplante Notstromanlage ging erst 1984 in Betrieb, im gleichen Jahr wurde auch endlich die Sanierung der Toilettenanlagen abgeschlossen. Neuen Innenputz gab es gar nicht, dafür reichte das Geld nicht. Dafür wurde eine „Glasvliestapete“ angebracht, um die Unebenheiten einigermaßen zu verdecken.
Nach dem Neustart mühte sich das Team um Klubhausleiterin Christine Bräutigam redlich, an Quantität und Qualität des Angebots vor der Schließung anzuknüpfen. Im Jahresbericht 1986 werden 7 ständige Arbeitsgemeinschaften erwähnt: eine eigene Band und ein Singeklub, ein Mode-, ein Foto- und ein Schachzirkel, eine Kraftsportgruppe und eine Arbeitsgemeinschaft Billard. Der Jahresplan 1984 weist Tanzveranstaltungen mit Gruppen wie den „Nautiks“ und „Universum“ aus Erfurt, „Rockphonie“ oder der „ZOE-Band“ aus. In der Gaststätte war zwei Mal wöchentlich Tanz.
Doch auch die politisch-ideologische Arbeit kam nicht zu kurz: 1983 fand die Festveranstaltung zum 100. Todestag von Karl Marx im Jugendklubhaus statt, die „Woche der Waffenbrüderschaft“ wurde regelmäßig gefeiert und die GST (Gesellschaft für Sport und Technik) unterwies die Jugendlichen im Luftgewehrschießen.
Zunehmend spielten auch Vermietungen ein Rolle. Das Jugendtourist-Büro führte Reisebesprechungen im Haus durch, es gab Betriebsfeste und Geburtstagsfeiern, Gewerkschaft, FDJ oder Rat der Stadt nutzten die Räume tagsüber für Schulungen.
Dann kam die Wende – und erneut war nicht klar, was aus dem Jugendklubhaus werden würde. Zum Glück blieb das Haus in städtischer Trägerschaft und erlebte eine intensive Phase des Aufschwungs. Leider währte sie nicht lange.
Kurzer Höhenflug und langes Ende
Nach 1990 wurde auch im Jugendklubhaus alles anders. Der schräge Musiker Vicky Vomit hatte hier seinen ersten Auftritt als Solo-Künstler, bekannte Wende-Bands wie die „Skeptiker“ oder „Keimzeit“ gaben sich die Ehre und Olaf Schubert natürlich auch. Nicht als der Comedian, als den man ihn heute kennt, sondern als Schlagzeuger von „Dekadance“.
Wer wissen wollte, welche Trends angesagt waren, ging damals ins AJZ, wie das Jugendklubhaus nach 1990 auch genannt wurde. „AJZ“ stand für „Arnstädter Jugendzentrum“, der gleichnamige Verein hatte die Bewirtschaftung der Gaststätte im Erdgeschoss übernommen. Das Haus selbst blieb in städtischer Trägerschaft. Diese Konstruktion erwies sich als äußerst tragfähig, weil der organisatorische und finanzielle Spielraum eines Vereins wesentlich größer war und ist, als der einer städtischen Einrichtung. Hinzu kam die Möglichkeit des Einsatzes von ABM-Kräften und „Zivis“. „Es war jedes Wochenende etwas los – und das Wochenende begann oft schon am Donnerstag“, erinnert sich Andrea Böttger, damals stellvertretende Klubhausleiterin. Nicht nur für Jugendliche und junge Erwachsene, sondern auch für Kinder.
Die beliebten Fernsehfiguren um Käpt‘n Blaubär und Hein Blöd waren mehrfach zu Gast, es gab ein Öko-Projekt zur Begrünung der Außenwände und Kinderfeste. Das Haus lebte wie selten zuvor, wurde zu einem überregionalen Anziehungspunkt.
Doch diese Zeit der Euphorie dauerte nur wenige Jahre. Als sich Arnstadt zu einem Kristallationspunkt der rechten Szene entwickelte, mehrten sich auch die Angriffe auf dass „AJZ“. Auch wegen der Angriffe der Rechten festigte sich der Ruf des Jugendklubhauses, ein Treffpunkt linker autonomer Jugendlicher zu sein. Eine Entwicklung, die manche in der Stadt und im Rathaus mit Argwohn betrachteten.
Es passierten merkwürdige Dinge. Nach einem Konzertabend im Oktober 1992 tauchten an einem Sonntag der Bürgermeister und sein Stellvertreter in Polizeibegleitung unangemeldet im Jugendklubhaus auf und inspizierten den unaufgeräumten Saal. Weil sie unter anderem umgekippte Stühle und herumliegenden Müll vorfanden, wurden die Schlösser ausgetauscht und die sofortige Schließung des Hauses verfügt. Ein Foto des Saales fand sich am nächsten Tag unter der Überschrift „Bild des Grauens“ in der Lokalzeitung. Nach zwei Tagen allerdings wurde die Schließung wieder aufgehoben. Der Betrieb im Jugendklubhaus ging weiter.
Dafür kam nun öfter die Bauaufsicht. Zunächst wurden Auflagen für die Besucherzahlen wegen der Statik des Hauses gemacht, später wurde sogar von einem Riss gesprochen, der sich durch das gesamte Gebäude ziehen würde. Als dann noch die Gaststätte im Erdgeschoss geschlossen wurde, waren die Tage der Jugendarbeit im Jugendklubhaus gezählt. Die Stadt beschloss, das Haus nicht weiter zu betreiben und eine ehemalige Kindertagesstätte auf der Setze zum Kinder- und Jugendtreff auszubauen. Im November 1996 erfolgte der Umzug.
Seitdem ist es gespenstisch still im Haus an der Karolinenstraße. Das Schlossmuseum nutzte einige Räume als Magazin, in andere zog die „Europäische Akademie Arnstadt“ ein. Von deren zeitweiliger Anwesenheit kündet noch heute eine blaue Plakette und der Schriftzug „Europahaus Arnstadt“ an der bröckeligen Fassade. Mittlerweile ist sie in den Prinzenhof umgezogen.
20 Jahre dämmerte das Haus vor sich hin und verfiel immer mehr. Erst in der vorerst letzten städtischen Finanzkrise wurde es zum Verkauf freigegeben. Den Zuschlag bekam die Wachsenburg-Baugruppe, die nun dort Wohnungen bauen will. Die alten Gebäude werden vollständig abgerissen.
Der Museologe Hansjürgen Müllerott hält das für einen schweren Fehler, nach seiner Meinung ist die „Concordia“ ein historisch wertvolles und erhaltenswertes Gebäude, unter dessen Putz noch zahlreiche Zeugnisse der Baukunst von 1846 verborgen sind.
Ich kann das nicht beurteilen, außer einem Säulen-Kapitell auf der Gartenseite habe ich keinen Hinweis auf die alte Substanz gefunden. Abriss und Neubau sind außerdem beschlossen und genehmigt.
Ich hoffe nur, dass sich die neuen Gebäude besser in das historische Ensemble vor dem Riedtor einfügen, als die Darstellung auf der Homepage der Wachsenburg-Baugruppe vermuten lässt. Manchmal sieht ein Neubau nach der Fertigstellung besser aus als auf der Zeichnung. Wir werden sehen.
Was aber feststeht: Die Zeiten der Concordia und des Jugendklubhauses als gesellschaftlicher Treffpunkt an der Karolinenstraße sind vorbei. Es war ein Haus, das für eine innovative, lebendige Musikszene stand und viele Arnstädter beim Erwachsenwerden begleitet hat.
Schade, dass es so etwas in Arnstadt nicht mehr gibt. Nicht das Gebäude, sondern das Leben darin.
Hier noch einige Fotos, die Alexander Basner jüngst im leeren Jugendklubhaus gemacht hat (Danke, dass wir sie hier zeigen dürfen):
Ich freue mich sehr, dass es Menschen gibt, die die Geschichte von solchen Gebäuden nicht vergessen lassen. Ich bin auch ein Kind der Erinnerung an tolle Zeiten in unserem „Jugendclub“
Ich bedanke mich herzlich.
Sehr Gut gemacht! Dankeschön!!!
Danke! Hat auch viel Spaß gemacht, sich der alten Zeiten zu erinnern.
Danke für diesen informativen Artikel.