Heute steht in meiner Heimatzeitung ein Debattenbeitrag über ein Gutachten zum Sanierungsgebiet „An der Weiße“. Es streiten sich: Ein Bürgermeister, der 2012 von seiner Wahl ziemlich überrascht war – und ein Bürgermeisterkandidat der „Linke“ von 2012, der damals von seinem schlechten Abschneiden ziemlich überrascht war. Nur unter diesem Aspekt ist der obskure Streit zwischen Alexander Dill und Frank Kuschel überhaupt zu begreifen. Verstehen kann man ihn dennoch nicht, denn diese Auseinandersetzung ist ziemlich unterirdisch. Wie die Weiße in der fraglichen Gegend.
„An der Weiße“ stimmte eigentlich nur bis 1933. Bis dahin floss die „Stadtweiße“ tatsächlich durch die Straße, die heute nur noch ihren Namen trägt. Wie die Arnstädter Stadtchronik berichtet, wurde 1933 der kleine Flusslauf kanalisiert und unter die Erde verbannt. Man sieht nichts mehr davon. Wenn die Leute heute von der „Weiße“ reden, meinen sie nicht das Flüsschen, dessen wilder Namensvetter auch heute noch ein paar Straßen weiter dahinplätschert. Sondern sie meinen eine Straße.
Ähnlich ist es auch, wenn Alexander Dill und Frank Kuschel über die Sanierung der Plattenbauten an der Weiße streiten: Man muss unterscheiden zwischen dem, was sie sagen und dem, was sie meinen. Im Grunde sind sie sich einig, dass an der Weiße etwas passieren muss. Die Häuser sind in keinem guten Zustand, die Lage in der Innenstadt direkt am Busbahnhof schreit förmlich nach einem demografischen Wandelvorzeigeprojekt. Und das hat die WBG Arnstadt , eine 100-prozentige Tochter der Stadt, auch schon vor Jahren auf den Weg gebracht. Doch nach dem Amtsantritt von Dill äußerte der neue Bürgermeister Bedenken und ordnete eine Prüfung an, was Kuschel von Anfang an ärgerte (nachzulesen in seinem Stadtrats-Blog die entsprechenden Einträge zur „Weiße“ reichen bis 2013 zurück).
Es geht um Altlasten für abgerissene Plattenbauten in Rudisleben, die Frage, ob der Bürgermeister ein externes Gutachten in Auftrag geben durfte und um andere Geldfragen, die man unter vernünftigen Menschen eigentlich vernünftig ausdiskutieren könnte. Denn es ist vernünftig, an der Weiße schnell zu beginnen. Aber es ist auch vernünftig, ein Projekt, das so viel Geld kostet, genau auf Inhalt, Form und Finanzen zu prüfen. Das ist sich eine schöne und arme Stadt wie Arnstadt schuldig. Schon um den Verdacht auszuräumen, man könne für weniger Geld besser bauen.
Warum das nicht geht? Weil Dill und Kuschel ihre veritable Männerfeindschaft zelebrieren.
Beide haben Ahnung von dem, worüber sie reden. Dill ist gelernter Architekt, Kuschel ausgewiesener Experte für Kommunalfinanzen. Zudem sitzen beide im Aufsichtsrat der Arnstädter WBG. Beide könnten sich also hervorragend ergänzen, aber sie können eben leider nicht miteinander.
Beide haben recht. Dill mit seinem Argument, dass man solche Projekte vorher gründlich prüfen muss, damit nicht am Ende ein Flughafen oder eine Elbphilharmonie herauskommt. Kuschel hat das Argument auf seiner Seite, dass die Planung schon weit fortgeschritten ist und bei einer Kehrtwende finanzielle Einbußen drohen.
Aber es geht bei dieser Sache, wie so oft im Leben, nicht um recht haben. Sondern um eine gute Lösung. Die findet man, bei den Arnstädter Mehrheitsverhältnissen im Stadtrat, nur gemeinsam.
Das sollten Dill und Kuschel begreifen und sich zusammensetzen, bevor das von Dill in Auftrag gegebene externe Gutachten auf den Tisch kommt. Und wenn es dann noch ein gemeinsames Auftreten der beiden bei einem Pressetermin gäbe, bei dem sie sich gegenseitig wenigstens ein kleines bisschen loben würden, wäre ein Gewinn für die Stadt – und täte auch den verwundeten Seelen der beiden Streithähne gut.
Okay, das ist ziemlich unwahrscheinlich. Aber man wird sich ja wohl was wünschen dürfen zu Jahresbeginn.
3 Gedanken zu „Weiße mit Schuss“