Wahlzeit

Von den Laternenmasten schauen einen Leute an, die man entweder schon oft oder noch nie im Leben gesehen hat. Der Briefkasten quillt täglich über, der Hopfenbrunnen wird dauerbespielt. Und selbst beim Einkaufen muss man höllisch aufpassen, dass einem nicht ungefragt eine Autogrammkarte in den Beutel geschoben wird. Es ist Wahlzeit.

Was hat sich eigentlich seit der letzten Kommunalwahl 2019 in der Arnstädter Innenstadt verändert? Es gibt leider ein paar Läden weniger, aber man kann dafür heutzutage auch außerhalb des Markt-Dienstags Bratwürste vom Rost kaufen, sogar von zwei Anbietern: Am „Fresstempel“ von Jens Fischer und vom Privat-Brater Jörg Bugenhagen. Beide braten aber nicht nur, sie kandidieren auch für den Stadtrat. Jens Fischer auf Platz 9 für Pro Arnstadt, Jörg Bugenhagen auf Platz 23 für die CDU.  Wobei Bugenhagen zwar auf der CDU-Liste steht, unweit seines Bratwurststandes aber sichtbar Wahlkampf für die Landrätin der Konkurrenz macht: Petra Enders.  

Es wird so einiges gewählt am kommenden Sonntag, zum Beispiel der Arnstädter Stadtrat.  Dort geht – nicht erst bei dieser Wahl – alles ein bisschen durcheinander.  Zum Beispiel gibt es das Listen-Hopping: Michael Gruber, der bis 2019 für Pro Arnstadt im Stadtrat saß, kandidiert diesmal auf der Liste der CDU.  Und Hans-Werner Eschrich, eigentlich ein SPD-Urgestein, findet sich auf der Liste von Pro Arnstadt. Es gibt auch das politische Ehegatten-Splitting: Ralf Böse steht bei der SPD auf Platz 4, seine Frau Kerstin bei den Grünen auf Platz 7. Alexandra Eckert kandidiert für die SPD, ihr Mann Claus Carl Jakob für die FDP.  Selbst beim Sprachrohr aller mit allem Unzufriedenen treffen sich zwei Listen: Stadtecho-Herausgeber Stefan Buchtzik kandidiert für Pro Arnstadt, sein Vorgänger und Stadtecho-Gründer Hans-Joachim König, der noch immer in dem Anzeigenblatt das letzte Wort hat, für die AfD. Wobei man den Unterschied gerade bei der jüngsten Ausgabe, die man getrost als reine Wahlwerbung für Stefan Buchtzik und die AfD bezeichnen kann, kaum bemerkt. Bei Pro Arnstadt, das sich gern als unabhängige Kraft in der Mitte der Gesellschaft inszeniert, dürfte dieser anhaltende Schulterschluss nicht allen gefallen.

Die größte personelle Überraschung bei der Stadtratswahl  ist, dass es auf den vorderen Positionen kaum eine gibt. Zwar haben SPD und Linke ihre zweiten Plätze auf der Liste mit sehr jungen und sehr unbekannten Menschen besetzt, aber ansonsten treten die an, die immer angetreten sind.  Naja, nicht ganz: Aus der Riege derer, die bei der Wahl 2019 mehr als tausend Stimmen bekamen, schieden mit Christian Hühn (SPD) und Bodo Weißenborn (CDU) zwei bekannte Gesichter im Laufe der Wahlperiode freiwillig aus dem Stadtrat aus. Ebenso wie Gerhard Pein (auch aus dem Tausender-Klub), der nach seinem Austritt aus der Linken praktisch keine politische Heimat mehr hat, und  Jan Kobel, der auch sein Mandat zurückgab, treten sie diesmal nicht wieder an. 

Natürlich gibt es neue Namen auf den Listen. Aber der Effekt: „Gut, dass der /die jetzt mal für den Stadtrat aufgestellt wurde“  wollte sich bei mir nur selten  einstellen. Das muss nichts heißen, unbekannte Namen können ja auch für einen sich anbahnenden Generationswechsel  sprechen, aber das habe ich bei der vergangenen Wahl bei mancher Wahlliste auch gedacht. 

Trotzdem bleiben bei einer kleinen Stadt wie Arnstadt noch genügend Kandidaten übrig, die man kennt. Und deshalb ist mein Rat für kommenden Sonntag: Wählen Sie keine Parteien oder Zusammenschlüsse, sondern Menschen. Menschen, denen Sie vertrauen, denen Sie zutrauen, die Geschicke der Stadt mitzugestalten und die aus Ihrer Sicht auch kompromissfähig genug sind, um mit anderen Meinungen im Stadtrat klarzukommen und eine vernünftige Lösung auf den Weg zu bringen. Denn wenn sie eine bestimmte Partei oder Liste wählen, haben Sie nur eine Stimme, die bei der Auszählung automatisch auf die ersten drei Listenplätze angerechnet wird. Wählen Sie aber einzelne Menschen, haben Sie drei Stimmen, die Sie beliebig verteilen können. Welche Kandidaten  am Sonntag zur Wahl stehen, steht hier.

Dazu ein Beispiel: Sie kennen Kandidaten X von der Liste A  gut und trauen ihm auch ein Stadtratsmandat zu, finden aber Kandidaten Y von der Liste B auch ganz geeignet.  Dann können Sie bei X zwei Kreuze machen und bei Y eines (oder umgekehrt). Und wenn Sie auch noch einen dritten Kandidaten kennen, der Ihre Zustimmung findet, geben sie eben allen Dreien ein Kreuz. Wenn Sie allerdings nur einen Kandidaten unbedingt im Stadtrat sehen wollen, machen Sie eben bei dem alle Ihre drei Kreuze. Wichtig ist dabei: Auf welchem Listenplatz Ihre Kandidaten stehen, ist unerheblich. Wenn der Mensch auf Platz 24 die meisten Stimmen erhält, zieht er trotzdem in den Stadtrat ein.  Ich habe dieses Verfahren schon vor der Wahl 2019 mal aufgeschrieben, das stimmt auch so noch alles (bis auf die Links zu den Wahlprogrammen). 

Apropos Wahlprogramme (die Links zu den einzelnen Programmen gibt es ganz unten): Deren Aussagekraft ist sehr unterschiedlich. manche schreiben Ihre Ziele ausführlich aus, manche eher skizzenhaft. Auch deshalb ist es besser, einzelne Kandidaten zu wählen. Die kann man fragen, was sie zu bestimmten Themen für eine Meinung haben.  

Bei der Bürgermeister- und Landratswahl, die ebenfalls am Sonntag stattfindet, ist die Sache ein bisschen anders: Da hat jeder nur eine Stimme.  Interessant ist, dass (außer dem Arnstädter Bürgermeisterkandidaten von der AfD) alle Kandidaten parteilos sind, auch wenn sie bestimmten Parteien oder Wählergruppen nahestehen.  Bei der Arnstädter Bürgermeisterwahl tritt dabei neben Amtsinhaber Frank Spilling nur Martin Liedtke (AfD) an. Frank Kuschel (Linke) hatte zwar öffentlich ebenfalls eine Kandidatur angekündigt, aber daraus wurde irgendwie nichts. So brauchen Sie sich nur zwischen zwei Bewerbern zu entscheiden.

Zur Landratswahl  gibt es hingegen vier Kandidaten: 
Amtsinhaberin Petra Enders
André Lange
Ralf Gohritz
Steffi Brönner (für die Einzelkandidatin hab ich leider keine eigene Seite im Netz gefunden, auf den Seiten des MDR wurden noch einige Informationen zu allen vier Bewerbern zusammengetragen). 

Bei der Bürgermeister- und Landratswahl sollten Sie die gleichen Maßstäbe anlegen wie bei den Stadtrats-Kandidaten: Wem trauen Sie am ehesten die Verwirklichung Ihrer Vorstellung zu? Wem vertrauen Sie? Und wer ist aus Ihrer Sicht kompromissfähig? Hinzu kommt aber noch ein weiteres Kriterium: Stadtverwaltung und Landratsamt sind praktisch mittelständische Betriebe mit mehreren hundert Angestellten. Bei der Führung solcher „Firmen“ sind nicht nur guter Wille und hehre Ziele gefragt, sondern auch Managerqualitäten.  Auch das sollte Ihre Auswahl beeinflussen. 

Die Kreistagswahl, die ebenfalls am Sonntag stattfindet, folgt den gleichen formalen Regeln wie die Stadtratswahl. Sie haben drei Stimmen, die Sie beliebig auf Kandidaten verteilen können – oder Sie kreuzen eine ganze Liste an, dann haben Sie nur eine Stimme, die auf die ersten drei Listenplätze aufgeteilt wird. Ich rate auch beim Kreistag zur Wahl von Menschen, die Kandidaten finden Sie hier.

Was Ihre Auswahl bei allen jetzt am Sonntag anstehenden Wahlen nicht beeinflussen sollte: Was Sie gerade so von der Bundes- und Landespolitik halten. Auch da können Sie mitentscheiden, aber frühestens im Herbst bei der Landtagswahl. Jetzt geht es um die „kleinen“ Dinge wie wirtschaftliche Entwicklung, Straßen, Sportstätten, Kindergärten oder die kulturellen Einrichtungen.  Auch die Debatten darum sind manchmal nervig, aber Sie  können dafür sorgen, dass darüber die aus Ihrer Sicht richtigen Leute streiten und entscheiden. Jetzt am Sonntag. 

Und noch eins: Wenn Ihnen jemand erzählt, dass man auch bei einer Kommunalwahl „denen da oben“ einen Denkzettel verpassen müsse, denken sie einfach mal nach. Ist Ihnen ein Denkzettel wirklich wichtiger als eine ordentliche Kommunalpolitik?  Außerdem: Wer sowas sagt, will meistens selber nur nach oben. Und dann?

Ich wünsche uns allen eine gute Wahl.

Die Kandidaten für den Arnstädter Stadtrat sowie die Ortsteilbürgermeister sind hier aufgelistet
Hier können Sie nachlesen, wer für den Kreistag des Ilmkreises kandidiert.

Links zu Wahlprogrammen für den Stadtrat:
Pro Arnstadt
CDU
AfD
SPD
Bürgerprojekt
Grüne
FDP

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