Was sollte man in Arnstadt gesehen haben? Für eine Broschüre zum Stadtrechtsjubiläum habe ich dazu einige Texte geschrieben. Auf jeden Fall gehört die Bachkirche dazu.
Diese Kirche hat keinen Turm, zwei Orgeln und zwei Gesichter. Auf der Eingangsseite bescheiden und schlicht, als duckte sie sich vor dem Rathaus zwischen die Bäume. Zur Unterstadt hin aber thront sie überragend selbstbewusst über dem ehemaligen Hopfenmarkt. Kaum einem Besucher fällt auf, dass sie keinen Turm hat. Sie braucht keinen, um groß zu sein.
Ihre Schönheit schöpft sie nicht aus Prunk oder verschwenderischer Farbenfülle. Sie ist der Ort, an dem sich ein noch unerkanntes Genie darauf vorbereitete, die Musik umzukrempeln.
Johann Sebastian Bach war 18, als er in dieser Kirche seine erste Organistenstelle antrat. Ein begabter Junge, aber ein Junge eben. Es gibt nur wenige Kompositionen, die man seiner Arnstädter Zeit zugeordnet werden, aber darunter ist eine seiner berühmtesten: die Toccata und Fuge in d-moll. Aber es gibt eben auch allerlei Geschichten über Ärger mit der Obrigkeit. Ein maßlos überzogener Urlaub, neue Moden beim Umgang mit dem Chor, Handgreiflichkeiten vor der Kirche.
Es war seine Kirche. Bach hat sie zum Klingen gebracht.
Er kam von Weimar nach Arnstadt, um eine neue Orgel in der „Neuen Kirche“ zu begutachten. Eine schwere Aufgabe für einen 18-Jährigen. Er meisterte sie offenbar so gut, dass ihn die Stadtväter umgehend als Organisten engagierten – mit einem Salär, das wesentlich über dem seines Vorgängers lag.
Man kann heute noch hören, wie die von Johann Friedrich Wender gebaute Orgel damals klang, als Bach sie einspielte. Der Blasebalg wird wie damals mit Muskelkraft bewegt, ein Viertel der Orgelpfeifen stammt aus dieser Zeit.
Bach blieb vier Jahre in der Stadt. Wahrscheinlich wohnte er bei Verwandten, die Bachs waren hier eine weit geschätzte Musikerfamilie. Und für Musiker gab es genug zu tun. So spielte nach Johann Sebastians Weggang auch weiter ein Bach die Orgel in der Neuen Kirche. Cousin Johann Ernst betreute sogar die Orgeln der drei Hauptkirchen.
Sicher ist die heutige Bachkirche das bekannteste Gotteshaus der Stadt, doch welche die schönste ist, darüber wird in Arnstadt schon immer gestritten. Jeder sollte diese Entscheidung für sich selber fällen, denn die Liebfrauen- und die Oberkirche sind nur wenige Gehminuten entfernt. Im Mittelpunkt dieses kontrastreichen Kirchen-Dreiecks sitzt der junge Johann Sebastian Bach als Denkmal auf dem Markt. So leger, wie er wohl damals in der Orgelbank der Neuen Kirche gesessen hat.
Mittlerweile trägt der barocke Saalbau seinen Namen, bekam vor 100 Jahren eine zweite Orgel und wurde zur Jahrtausendwende aufwändig saniert. Hier trifft sich die Arnstädter evangelische Kirchgemeinde zu ihren Gottesdiensten. Es gibt klassische Konzerte, manchmal wird auch Jazz gespielt. Und einmal im Jahr reichen die Plätze der Kirche nicht aus, wenn es zum Advent rockig wird im Kirchenschiff. Dem jungen Johann Sebastian hätte das sicher gefallen.
(zu meinen „Arnstädter Perlen“ gehören auch das Rathaus, der Spittel und das Schlossmuseum)