In Arnstadt war die Lage eigentlich schon immer besser als die Stimmung. Aktuell wird über die vielen Baustellen und (überwiegend zu Recht) über den Start des kommunalisierten Busverkehrs geschimpft. Dabei waren die Aussichten für die Stadt selten so gut wie jetzt.
Gerade ist eine Prognose erschienen, wie sich die Bevölkerung Thüringens bis 2040 entwickeln wird. Man kann es so zusammenfassen: Es sieht nicht gut aus. Suhl soll danach 30 Prozent seiner Einwohner verlieren, der Kreis Saalfeld-Rudolstadt fast 21 Prozent. Zwar liegen für kleiner Städte noch keine genauen zahlen vor, aber schon bei der Vorausberechnung für 2035 konnte Arnstadt diesem allgemeinen Negativ-Trend trotzen: Die Statistiker errechneten einen nur geringen Schwund von gerade mal einem Prozent. Und da war CATL noch gar nicht eingeplant.
„Contemporary Amperex Technology Ltd.“, kurz „CATL“ ist ein chinesischer Konzern, der am Erfurter Kreuz so schnell als möglich eine Fabrik für Batterien errichten will, ohne die kein Elektroauto auskommt. Wie groß dieser Betrieb werden könnte, kann man gut in einer Grafik der Landesentwicklungsgesellschaft sehen: Eine riesige Fläche links von der Straße nach Thörey ist für CATL reserviert. Dagegen wirken die Werke von N3 oder Gonvauto fast wie Miniaturen.
2000 Arbeitsplätze sollen geschaffen werden. Die Zahl wurde in den vergangen Monaten mehrfach aufgestockt, denn schon vor Baubeginn hat CATL Verträge mit verschiedenen europäischen Autofirmen wie BMW oder PSA (Opel/Peugeot/Citroen in der Tasche, andere haben Interesse bekundet.
Noch ist auf der Baustelle außer ein paar kleineren Erschließungsarbeiten nichts zu sehen, aber im Verborgenen ist bereits ein wichtiger Schritt vollzogen worden: CATL hat einen Thüringer Zweigbetrieb namens „CATT“ gegründet, mit der Firmenadresse „Boschstraße 1“ in Arnstadt. Dazu hat die Firma die ehemaligen Immobilien von „Solarworld übernommen. Das ist insofern von Bedeutung, weil bisher nur wenige der Betriebe am Erfurter Kreuz hier auch ihren Firmensitz haben, die meisten sind nur verlängerte Werkbänke ihrer (meist im Westen ansässigen) Mutterfirmen. Das wirkt sich unter anderem auf die Steuern aus, die hier in die Gemeindekassen fließen.
Und noch etwas ist neu: CATL will in Arnstadt nicht nur produzieren, sondern auch Forschen und Entwickeln. Eigentlich könnten die Chinesen ihre Batterien auch daheim herstellen und dann nach Europa transportieren. Aber sie wollen hier durch die Zusammenarbeit mit deutschen Ingenieuren den europäischen Markt noch besser verstehen, mit einheimischen Zulieferern kooperieren – und so Batterien herstellen, die genau auf diesen Markt passen. Und sie wollen den Zug nehmen. Die An- und Abtransporte sollen umweltfreundlich über den Bahnanschluss erfolgen, den das Erfurter Kreuz bereits hat – und der bisher leider viel zu wenig genutzt wird.
Gegenwärtig streiten sich die Experten, ob das Arnstädter Batteriewerk das größte in Europa werden oder sogar mit Produktionsstätten in den USA konkurrieren könnte. Aber das ist eine müßige Frage, denn auch ohne Eintrag ins Guinnessbuch dürfte Arnstadt durch das chinesische Engagement so viel Aufmerksamkeit erhalten wie schon lange nicht. Ich wage die Prognose, dass in den kommenden Monaten so gut wie jedes (nicht nur deutsche) Leitmedium ein Team nach Arnstadt schickt, um nachzuschauen, wie es ist, wenn chinesische Hochtechnologie in eine deutsche Kleinstadt kommt. Bisher funktionierte Technologietransfer meist in der Gegenrichtung.
Aber nicht nur Fernsehen und Presse werden sich in Arnstadt umschauen, sondern auch viele Chinesen, die etwas mit der Fabrik zu tun haben und plötzlich auf eine schnuckelige alte Kleinstadt stoßen. Chinesen lieben schnuckelige alte Kleinstädte und erzählen davon zu Hause gern weiter. Wer sich anschauen möchte, was daraus werden kann, sollte mal nach Hallstatt fahren. So schlimm wie dort wird es hier vielleicht nicht gleich werden, aber ein Werbeprospekt für Arnstadt auf Chinesisch wäre sicher nicht schlecht. Oder wenigstens eine Homepage auf Englisch.
Für das neue Werk werden neue Mitarbeiter und für die Wohnungen gebraucht, die ersten werden schon gesucht. Die wenigsten Leute werden dauerhaft aus China kommen, so wie bei „Gonvauto“ kaum Spanier und bei „Schuite & Schuite“ kaum Holländer arbeiten. Es werden mehr junge Leute nach Arnstadt kommen, die hier Kindergartenplätze, Schulen und Einkaufsmöglichkeiten suchen und hoffentlich finden werden. Der Stadt würde es gut tun. Und es wird mehr Geld in die Stadtkasse fließen. Nicht gleich, solche Investitionen kann man in den ersten Jahren komplett von der Steuer absetzen. Aber später, wenn sich die Sache eingepegelt hat, könnte es Arnstadt finanziell ähnlich gut wie Ichtershausen gehen.
Aber das ist noch Zukunftsmusik. Jetzt sollte sich die Stadt darauf vorbereiten, die chinesischen Investoren gut zu empfangen. Und vielleicht können wir ja sogar von ihnen lernen: zum Beispiel öfters zu lächeln. So schwer ist das nämlich gar nicht. Und Grund hätten wir allemal.
Da fällt mir glatt ein Witz ein:
Kommt ein Chinese staunend in Arnstadt am Bahnhof an. Da sagt der Schaffner zu ihm: „Na, da staunen Sie aber, was wir hier für eine tolle Luft und sauberes Wasser haben!“ Da antwortet der Chinese grinsend: „..hihihi, …. ja, schon, aber nicht mehr lange!“
Falls das ein Witz ist, dann ein sehr alter. Heutzutage rücken die Chinesen hier mit Umweltstandards an, die selbst Fachleute verblüffen. Es wird sicher Probleme bei der Umsetzung dieses Vorhabens geben, aber Umweltprobleme sicher nicht.