Der Runde Tisch in Arnstadt sorgte in den wilden Wendezeiten für einen relativ geordneten Übergang. 30 Jahre lang gab es in öffentlichen Archiven keine Unterlagen über seine Arbeit, nun wurden sie mit Hilfe damals Beteiligter zusammengetragen und dem Stadt- Kreisarchiv übergeben.
Es war ein verrückter Herbst 1989. Erst am 30. September hatte in Arnstadt auf dem Holzmarkt auf Initiative eines Einzelnen eine noch sehr zaghafte Zusammenkunft Unzufriedener stattgefunden, sechs Wochen später war bereits die Grenze offen und das gesamte Land im Umbruch. Regelmäßig wurde für Veränderungen demonstriert, ständig bildeten sich neue Oppositionsgruppen. In der SED hatte Egon Krenz eine „Wende“ und den „Dialog“ ausgerufen, aber viele glaubten nicht mehr an die Reformierbarkeit des Systems. Die Blockparteien sagten sich vom ehemaligen Partner in der „Nationalen Front“ los und schlugen sich offiziell auf die Seite der Opposition. Aber ihre Vertreter saßen wie auch die der SED noch in den Räten und Rathäusern und übten die Staatsmacht aus.
Das Misstrauen in diese Strukturen war groß, denn am 7. Oktober war in Arnstadt eine friedliche Demonstration gewaltsam aufgelöst worden und niemand hatte dafür die Verantwortung übernommen. Zudem waberten allerlei Gerüchte über Stasi-Machenschaften, dubiose Hausverkäufe, Privilegien von Amtsträgern und alte und neue Seilschaften durch die Stadt. Wie sollte man in dieser aufgeheizten Situation demokratische Veränderungen erreichen?
Eine Möglichkeit war die Bildung von gemeinsamen Arbeitsgruppen von Stadtverordnetenversammlung und Opposition, in denen sich die Bürger einbringen konnten. In Arnstadt gab es schon Mitte Oktober acht solche Arbeitsgruppen, in denen Vorschläge erarbeitet wurden. Aber es fehlte die Möglichkeit, sie umzusetzen.
Im evangelischen Gemeindehaus, wo sich die oppositionellen Kräfte regelmäßig trafen, wurde deshalb im November 1989 die Einrichtung eines „Runden Tisches“ diskutiert, um nachhaltige Veränderungen im Konsens zwischen den verschiedenen politischen Kräften und mit Unterstützung der kommunalen Verantwortungsträger (oder auch nur mit deren Duldung) durchsetzen zu können. In Polen hatte man gute Erfahrungen damit gemacht und auch in der DDR begannen sich auf verschiedenen Ebenen solche Tische zu etablieren. Zwei Tage, bevor in Berlin erstmals ein zentraler „Runder Tisch“ zusammentrat, wurde die Idee in Arnstadt Wirklichkeit. Am 5. Dezember 1989 begann hier der Runde Tisch mit seiner Arbeit.
Die Arnstädter Besonderheiten
Die Arnstädter Variante wies drei Besonderheiten auf:
1. Es gab keine gesonderten Runden Tische für Stadt und Kreis, für beides war nur ein Gremium zuständig. Damit konnten auch Probleme behandelt werden, die zwar die Stadt betrafen, deren Zuständigkeiten aber beim Kreis lagen.
2. Der Tisch hatte keine aufgeschriebene Geschäftsordnung, entschieden wurde nicht nach dem Mehrheits-, sondern dem Konsensprinzip. Bei jedem Thema wurde so lange diskutiert, bis alle stimmberechtigten Mitglieder mit einem Beschluss einverstanden waren.
3. Der Tisch wurde nicht, wie sonst meist üblich, von einem oder mehreren Kirchenvertretern geleitet. Der evangelische Superintendent Wolfgang Tittelbach-Helmrich griff zwar öfters moderierend ein, wenn die Debatte aus dem Ruder zu laufen drohte und fertigte nach den Sitzungen ein „Kommuniqué“ zur Information der Öffentlichkeit an. Die Leitung und die Protokollführung aber hatten abwechselnd die amtierende Ratsvorsitzende des Kreises Rita Bader und der Arnstädter Bürgermeister Bernd Markert. Beide hatten kein Stimmrecht, waren aber als Verwaltungschefs für die Umsetzung der Beschlüsse verantwortlich. So konnte der Runde Tisch tatsächliche Veränderungen erreichen, auch wenn er keine gesetzliche Legitimation besaß.
Wer saß am Runden Tisch?
Jede gesellschaftliche Gruppe oder Partei konnte einen Vertreter an den Runden Tisch entsenden, die Mitgliedschaft war nicht personengebunden. Es gab Übereinstimmung, dass neue Sitze am Runden Tisch nur im Konsens vergeben werden sollten. Von Anfang an waren SED-PDS, CDU, LDPD, NDPD, DBD (die bisherigen Partner in der „Nationalen Front“) sowie das Neue Forum, die SPD (anfangs SDP), die „Initiativgruppe für Frieden und Menschenrechte“ sowie die katholische und evangelische Kirche stimmberechtigt am Tisch vertreten. Die Ratsvorsitzende des Kreises Rita Bader und der Arnstädter Bürgermeister Bernd Markert leiteten die Sitzungen im Wechsel, waren aber nicht stimmberechtigt. Am 7. Februar kam der Demokratische Aufbruch hinzu, am 14. Februar Grüne Liga und Bürgerkomitee. Am 28. Februar wurde die Grüne Partei und am 28. März der Unabhängige Frauenverband aufgenommen (alle mit Stimmrecht). Nach dem Zusammenschluss von LDPD und NDPD zum „Bund Freier Demokraten“ gab es ab 4. April nur noch einen BFD-Vertreter am Tisch. Am gleichen Tag beschloss der Runde Tisch, keine weiteren Mitglieder mehr aufzunehmen.
Neben den stimmberechtigten Mitgliedern gab es noch solche mit Beraterstatus. Dazu zählten zum Beispiel Vertreter des Gewerkschaftsbunds und der FDJ (ab 14. Februar Vertreter des Runden Tisches der Jugend), des Konsum-Ausschusses oder des Demokratischen Frauenbundes (DFD).
Wie und wo wurde getagt?
Der Runde Tisch tagte zunächst am Dienstagnachmittag, ab Januar 1990 dann am Mittwochnachmittag im Sitzungssaal des Rates des Kreises in der ersten Etage. Der Raum im Landratsamt wird noch heute für Sitzungen und Konferenzen genutzt, nur der Tisch von damals ist nicht mehr da. Er war zwar irgendwie rund, weil er keine Ecken hatte, war aber „mathematisch undefinierbar geformt“, wie der damalige TA-Lokalredakteur Ewert Becker schrieb.
Die Presse durfte ab 31. Januar 1990 an den Sitzungen teilnehmen, das hatte der Runde Tisch am 17. Januar einvernehmlich beschlossen.
Gerade am Anfang dauerten die Sitzungen sehr lange, Teilnehmer berichten von bis zu acht Stunden. Am 31. Januar gab es deshalb einen Antrag, die Beratungen des Runden Tisches grundsätzlich bis gegen 16.30 Uhr abzuschließen. Dem wurde allgemein zugestimmt, eingehalten wurde der pünktliche Feierabend aber in der Regel nicht.
Vom Kummerkasten zur Sacharbeit
Zu den ersten drei Sitzungen im Dezember 1989 wurden keine Protokolle angefertigt. „Die ersten Sitzungen waren eine Art Kummerkasten“, sagt Alt-Landrat Lutz-Rainer Senglaub, der damals für die CDU am Runden Tisch saß. Alle Teilnehmer erhielten Gelegenheit, ihre Schwerpunkte, Forderungen und Vorstellungen über die Arbeit des Runden Tisches darzulegen, dazu wurden Verfahrensfragen diskutiert. Es kristallisierten sich Schwerpunkte heraus, die bei den weiteren Sitzungen abgehandelt werden sollten.
Das waren zum Beispiel:
– Aufklärung und Aufarbeitung der Polizeigewalt bei der Demonstration am 7. Oktober und künftige Sicherheitspolitik
– Untersuchung von Korruption und Amtsmissbrauch
– klare Trennung von Partei- und Staatsapparat
– Entideologisierung der Bildungsarbeit, Trennung von Schule und FDJ.
Aber bereits in der dritten Sitzung am 19. Dezember wurde deutlich, dass sich der Runde Tisch keinesfalls nur mit lokalen Problemen beschäftigen wollte. Einstimmig appellierten die Teilnehmer an die rumänische Regierung, die Gewaltanwendung gegen die Bevölkerung zu beenden und sprachen sich für die eigene Arbeit zur strikten Wahrung der Rechtsstaatlichkeit und zur „deutlichen Abgrenzung gegenüber Rechtsextremismus in all seinen Erscheinungsformen“ aus.
Im Januar 1990 begann die eigentliche Sacharbeit. Per Beschluss wurde die ehemalige Stasi-Zentrale in der Kauffbergstraße einschließlich des Fuhrparks dem angeschlagenen Gesundheitswesen zur Verfügung gestellt. Die SED-PDS erklärte sich bereit, in ihrer Kreisleitung in der Gothaer Straße 13 Büroräume für oppositionelle Gruppen bereitzustellen. Am 24. Januar berichtete ein Vertreter des Volkspolizei-Kreisamtes über die Situation in der Polizei. „Es bestehen Personal- und Vertrauensprobleme“, hieß es im anschließenden Kommuniqué des Runden Tisches. Es wurde beschlossen, sich regelmäßig über die Sicherheitslage auszutauschen.
Die Kreisschulrätin berichtete über den schwierigen Prozess der Trennung von Schule, FDJ, und Jugendweihe und die Bildung von unabhängigen Schülerräten aus gewählten Klassensprechern. Im Bildungssektor gab es so viele offene Fragen, dass die Einrichtung eines gesonderten „Runden Tisches Bildung“ beschlossen wurde. Auch der Abriss zweier maroder Häuser an der Oberen Weiße war Thema am Runden Tisch. Am Ende stimmte der Tisch dem Abriss zu, weil die Substanz nicht zu retten war. Die Wiederbebauung sollte unter „denkmalpflegerischen Gesichtspunkten“ erfolgen.
Ab Januar beschäftigte sich der Runde Tisch auch regelmäßig mit der Vorbereitung der anstehenden Wahlen zur Volkskammer und auf kommunaler Ebene sowie mit der Feier zum 1. Mai. Dazu wurden alle möglichen Werbeflächen in der Stadt erfasst, sie sollten aus Gründen der Chancengleichheit unter allen Bewerbern verlost werden. Interessant ist dabei eine Passage aus dem Protokoll vom 14. Februar: „Das Stadtbild ist durch den Wahlkampf nicht zu beeinträchtigen“.
Die Zwischenbilanz
Am 5. Februar 1990 lud der Runde Tisch die Öffentlichkeit zu einem Meinungsaustausch in den großen Saal des Chema-Kulturhauses ein. Zur Überraschung der Organisatoren war die Resonanz gering: „Letztlich hielten sich interessierte Bürger und Vertreter des Runden Tisches in etwa die Waage“, schrieb danach die „Arnstädter Allgemeine“. Aber obwohl der Kreis kleiner war als erwartet, kam ein munteres Gespräch zustande. Die Bürger regten an, der Runde Tisch möge sich stärker mit den Themen Umweltschutz, Handel und Bauwesen beschäftigen. Und das wurde offenbar dankbar aufgenommen. Allerdings fanden danach keine weiteren öffentlichen Veranstaltungen des Runden Tisches statt.
Weitere Runde Tische
Im Dezember 1989 und im Februar 1990 fanden zwei „Runde Tische der Partnerstädte“ in Arnstadt und Kassel statt, die aber mit der Arbeit des eigentlichen Runden Tisches nicht direkt in Verbindung standen. Bei den Zusammenkünften ging es vor allem um die praktische Weiterentwicklung der jungen Städtepartnerschaft und die konkrete Aufbauhilfe Kassels für Arnstadt. Den Namen „Runder Tisch der Partnerstädte“ hatte der damalige Kasseler Oberbürgermeister Hans Eichel vorgeschlagen.
Bereits erwähnt wurde, dass der Runde Tisch selbst die Bildung eines „kleinen Runden Tisches Bildung“ initiierte, weil die Aufgaben in diesem Bereich sehr umfangreich waren. Außerdem hatte sich ein „Runder Tisch der Jugend“ gegründet, der ab Februar 1990 mit beratender Stimme am eigentlichen Runden Tisch teilnahm. Es gab aber auch konkurrierende Zusammenschlüsse wie ein „legitimes Schülerforum“, dessen Gründung vom Runden Tisch lediglich „zur Kenntnis“ genommen wurde.
Wehrdienst und MfS
Noch immer war die Verunsicherung in Zusammenhang mit den Machtbefugnissen der Sicherheitsorgane groß. Besonders über die Arbeit des Wehrkreiskommandos gab es viele Beschwerden. Deshalb verpflichtete der Runde Tisch die Leitung des Wehrkreiskommandos, die Öffentlichkeit in geeigneter Weise über die Möglichkeiten des Zivildienstes und der Totalverweigerung zu informieren und seine Mitarbeiter zu einem „der Sache dienenden Umgangston mit den Jugendlichen zu befähigen“. Über den Kreisschulrat sollte sichergestellt werden, dass die Schüler der 9. und 10. Klassen über Zivildienst und Verweigerungsmöglichkeiten informiert werden.
Mehrfach beschäftigte sich der Runde Tisch mit Fragen in Zusammenhang mit dem MfS. Es bestand die Grundhaltung, dass ehemalige Stasi-Mitarbeiter in den Arbeitsprozess eingegliedert werden sollten, aber nicht in verantwortlichen Positionen. Mindestens in zwei Fällen gab es Einigkeit am Runden Tisch, ehemalige MfS-Mitarbeiter in städtischen Einrichtungen zu beschäftigen. Im Hinblick auf eine mögliche Bedrohungslage wurde außerdem der Privatbesitz von Jagdwaffen im Kreis thematisiert. Stasibelasteten Führungsträgern sollte die Genehmigung zum privaten Besitz von Schusswaffen entzogen werden. Im März fasste der Runde Tisch dann den weitergehenden Beschluss, dass „die privateigenen Jagdwaffen von ehemaligen Mitgliedern des MfS und der Funktionäre der ehemaligen SED (..) sicherzustellen sind“.
Harschere Töne
„Mit Bedauern wird festgestellt, dass immer wieder Stimmen lautwerden, die den amtierenden Kommunalpolitikern die Legitimation absprechen und unlautere Motive unterstellen. Der Runde Tisch trägt diese Auffassung nicht mit“, heißt es im Kommuniqué vom 7. Februar 1990. Einer der Gründe: In der Bevölkerung hatte sich Unmut darüber breitgemacht, dass die Untersuchung von Korruption und Amtsmissbrauch nur sehr schleppend voranging. Der Kreistag hatte zwar dafür eine Kommission eingesetzt, die aber nur sehr langsam und spärlich Ergebnisse lieferte.
Als Reaktion gründete sich eine neue Oppositionsgruppe: das Bürgerkomitee. Dort konnten alle politischen Parteien und Gruppen mitarbeiten, nur die SED-PDS blieb ausgeschlossen. Das Bürgerkomitee wurde zwar am 14. Februar stimmberechtigt am Runden Tisch aufgenommen, ging aber auch weiter eigene Wege. So verlangte dessen Sprecher Siegfried Koch, die Untersuchung von Amtsmissbrauch und Korruption ausschließlich selbst durchzuführen. Der Runde Tisch aber befand, laufende Untersuchungen sollten gemeinsam von Bürgerkomitee und Untersuchungskommission des Kreises durchgeführt werden.
Zu einem Eklat kam es, als das Bürgerkomitee in Arnstadt Handzettel verteilte, in denen unter anderem Bürgermeister Bernd Markert beschuldigt wurde, an dubiosen Hausverkäufen mitgewirkt zu haben. Daraufhin verwahrte sich Markert in der Sitzung des Runden Tisches am 28. März gegen die Vorwürfe und verlangte vom Bürgerkomitee eine Entschuldigung, sonst werde er nicht weiter am Runden Tisch teilnehmen. Laut Kommuniqué unterstützten mehrere andere Mitglieder die Sicht des Bürgermeisters, zumal der Runde Tisch schon frühzeitig beschlossen hatte, solche Hausverkäufe prinzipiell nicht durchzuführen. In einer Presseerklärung fragte das Bürgerkomitee daraufhin, ob Markerts Verhalten „Eingeständnis der Schuld oder willkommener Anlass, den Runden Tisch zu verlassen“ sei. Die „Arnstädter Allgemeine“ stellte daraufhin die Frage: „Platzt der Runde Tisch?“
Er platzte nicht. Das Protokoll der nächsten Sitzung am 4. April trägt die Unterschrift Bernd Markerts. Er sei eben einfach wieder hingegangen, um das Projekt „Runder Tisch“ nicht zu gefährden, sagt er heute und beteuert, dass ominöse Hausverkäufe in seiner Amtszeit nie stattgefunden haben.
Arnd Effenberger, der damals für das Neue Forum am Runden Tisch saß, plädiert dafür, solche Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der besonderen Lage aller Beteiligten zu sehen: „In einer so chaotischen Situation wie damals haben sich eben Gruppierungen gebildet, die zwar die gleichen Ziele hatten, aber verschiedene Wege dahin sahen. Schließlich hatten wir alle keine Erfahrung im Überwinden einer Diktatur.“
Vor der Selbstauflösung
In den Frühjahrs-Sitzungen 1990 beschäftigte sich der Runde Tisch regelmäßig mit der Sicherheitslage. Oft erstatteten Vertreter des Volkspolizeikreisamtes Bericht, es gab aber auch einen Ortstermin bei der Polizei. Beraten wurde außerdem über mögliche Verbesserungen des Umweltschutzes oder Perspektiven der Kultureinrichtungen. Auch die wirtschaftliche Situation spielte eine Rolle, die Arbeitslosenzahlen stiegen und das Schicksal vieler Betriebe war ungewiss. Ein Antrag des Demokratischen Aufbruchs, alle Betriebsdirektoren mit SED-Vergangenheit abzulösen, wurde allerdings abgelehnt: Ein solche Abberufung sei nur durch einen Beschluss der Belegschaftsversammlung möglich. In einem anderen Beschluss wandte sich der Runde Tisch gegen einen Gesetzentwurf der Volkskammer zur Rückgabe von Firmen an frühere Besitzer. Dieser sei zu „einseitig marktwirtschaftlich ausgerichtet“, befand das Gremium. Es gäbe keinen Grund dafür, „Vermögen des Volkes, das ohne Zutun der ehemaligen Besitzer erwirtschaftet wurde, zu verschenken“.
Um die Umsetzung seiner Beschlüsse besser kontrollieren zu können, bestimmte der Runde Tisch eigene Vertreter, die ehrenamtlich an Sitzungen der Verwaltungen von Kreis und Stadt teilnahmen. Das war ein wichtiger Schritt, um Vertrauen und Arbeitsfähigkeit am Runden Tisch zu stabilisieren: Von da an konnte in den staatlichen Entscheidungsgremien nichts mehr unternommen werden, was dem Runden Tisch nicht bekannt wurde.
Der Runde Tisch kümmerte sich auch um die alltäglichen Dinge. So wurde allen Händlern empfohlen, „nur Waren mit umweltfreundlicher Verpackung aus der BRD einzuführen“.
Einen Großteil seiner Energie aber verwendete der Runde Tisch, um sich selbst abzuschaffen: Die Kommunalwahl am 6. Mai war Thema auf jeder Sitzung. Von den Wahlhelfern bis zur Veröffentlichung der Kandidatenlisten wurde jedes Detail geklärt und immer wieder geprüft. Der Übergang sollte unbedingt klappen, eine gelungene und unanfechtbare Kommunalwahl am 6. Mai war das erklärte Ziel.
Am 2. Mai 1990 tagte das Gremium zum letzten Mal. Anschließend lud Superintendent Wolfgang Tittelbach-Helmrich alle Mitglieder zu einem Essen ins „Bahnhofscafe“ ein. Die Arbeit des Runden Tisches war beendet, nach den Kommunalwahlen am 6. Mai zogen in die Rathäuser und Kreisverwaltungen neue Hausherren ein.
Insgesamt 20 Sitzungen absolvierte der Runde Tisch zwischen Dezember 1989 und Mai 1990, zum Teil gingen sie über viele Stunden. Die Hoffnungen der Opposition, schon in einer frühen Phase grundlegende gesellschaftliche Veränderungen zu erreichen, konnte er nicht erfüllen. Aber er sorgte unter den damaligen Bedingungen für eine grundlegende Verbesserung der Diskussionskultur und einen geordneten Übergang in ein demokratisches System. Besonders die Art, wie akribisch demokratische Wahlen vorbereitet wurden, kann bis heute als vorbildlich gelten.
Lange Zeit galten die Protokolle des Runden Tisches in Arnstadt als verschollen. Doch anlässlich der Gedenkveranstaltung zu 30 Jahre Mauerfall am 30. September 2019 im Arnstädter Rathaus berichteten Erwin Erdmann (damals SPD) und Lutz-Rainer Senglaub (CDU) über die Arbeit des Runden Tisches. Und Senglaub, der im Mai 1990 zum Landrat gewählt worden war, hatte aus seinem eigenen Archiv auch die fast vollständige Sammlung der Protokolle des Runden Tisches mitgebracht. Mittlerweile hat er sie dem Stadt- und Kreisarchiv übergeben, mit Hilfe von Arnd Effenberger (damals Neues Forum) konnte die Sammlung vervollständigt werden. Die Kommuniqués der Sitzungen sind damals überwiegend im Wortlaut von der „Arnstädter Allgemeinen“ veröffentlicht worden, die im Stadt- und Kreisarchiv einsehbar ist. So können künftige Generationen die Arbeit dieses wichtigen „Zwischenparlaments“ nachvollziehen. Denn die Botschaft, dass es auch bei großen Meinungsunterschieden hilfreich ist, miteinander zu reden, ist keineswegs veraltet.
Ich bedanke mich bei Rita Bader, Lutz-Rainer Senglaub, Arnd Effenberger, Bernd Markert und Erwin Erdmann für die erhellenden Gespräche über die Arbeit des Runden Tisches.
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